Als ich in Marokko in der Wüste war, kam ich bei einem Nomaden vorbei. Er sass dort in seinem Zelt und bot mir Teppiche an. Einen davon habe ich nun bei mir im Wohnzimmer. Doch es ist nicht ein gewöhnlicher Teppich, denn er verbirgt in seinen strahlenden Farben und Mustern ein Geheimnis, das ich womöglich nie lösen werde: was die Muster genau bedeuten. Einige konnte ich entziffern, wie zum Beispiel jene für Männlichkeit und Fruchtbarkeit – und der Teppich sollte angeblich gegen Unheil schützen–, doch der Rest der Bedeutungen der Muster blieb mir verborgen – vermutlich wird es dies für immer. Denn die Zahl der Leute, welche die Teppiche ursprünglich herstellten und das kulturelle Wissen dazu haben, was die Muster bedeuten, schwindet stetig und mit ihnen eine Erinnerung an etwas nicht mehr Rekonstruierbares. Etwas, das von Gezeiten weitergegeben wurde und dessen Herkunft sowie Zukunft, wie Sandkörner, welche durch die Hand gleiten, bis zur Unendlichkeit verschwimmen. So bringt uns der gelb glänzende Sand zur Frage, was können wir nur durch kulturelles Wissen wissen und was bleibt uns als Aussenstehende dadurch verborgen? Dies erinnert uns an eine Frage der 35 Internal Assessment for the Exhibition Prompts. Um genau zu sein, an Nummer 14: Does some knowledge belong only to particular communities of knowers? Mit dieser Anekdote startete die Lehrperson den ToK-Tag Language and Exhibition und zeigte damit ein Beispiel, wie man ein Objekt in die Exhibition einbettet.
Die Exhibition ist im IB eine Ausstellung, bei welcher man drei Objekte vorstellt und sie zu einem der 35 Prompts verbindet. Die Objekte sollten dabei Beweise sein, die die gefundenen Einsichten zur Fragestellung begründen. Dabei gibt es Vorgaben, was als Objekt gezählt wird. So darf es beispielsweise keine Idee oder kein Gedanke sein und nicht spezifisch für die Exhibition hergestellt worden sein. Zur Exhibition gehört jedoch nicht nur die Vorstellung der drei Objekte, sondern auch ein schriftlich verfasster Text, welcher den Bezug zum eigenen Leben und zur Fragestellung haben muss, sowie die Inhalte, die im Fach ToK aufgegriffen worden sind, beinhalten sollte. Die dafür erhaltene Note macht dabei einen Drittel der gesamten Note des Faches Theory of Knowledge aus. An der grossen Leinwand, welche einen Teil der Wandtafel verdeckte, ging es nach weiteren Beispielen von Objekten aus dem Leben der Lehrperson, wie einer Brezel, die zeigte, wie unterschiedlich eine Brezel bestellen sein kann in anderen Ländern, weiter zur detaillierten Analyse eines ToK-Essays. Dabei mussten die Schüler und Schülerinnen Stellen im Text anstreichen, welche die Vorgaben der Struktur erfüllen. So muss beispielsweise das Objekt identifiziert werden und die Inkludierung in die Exhibition, also warum es ein wertvoller Beweis für die Fragestellung ist, erklärt werden. Dann kam ein Auftrag. Und die Schüler wurden von Zuhörern über die Exhibition zu aktiven Gestaltern ihrer eigenen Exhibition. Alleine oder in Gruppen mussten Objekte ausgewählt werden und eine Fragestellung, welche man mit den Objekten beweist. Als die Texte fertiggestellt wurden und man durch das Zimmer gehen konnte, um die Texte auf den Tischen anzuschauen, war ein Foto besonders farbenfroh. Es war eine Abbildung eines Farbenspektrometers. In seinem Essay erläutert der Schüler, dass es der Farbenspektrometer war, welchen er verwendete, um sich für die Farbe seines Schlafzimmers zu entscheiden. Weiter erklärt er in seinem Essay, wie er fasziniert war als er vom Konzept der Farben und des Lichts erfuhr, zugleich jedoch auch enttäuscht davon war. Er erklärt dies damit, dass man beispielsweise Ultraviolettlicht nie mit seinen eigenen Augen sehen kann. Diese Erkenntnis zeigte ihm, dass Wissenschaft uns hilft, Dinge zu verstehen, die unsere Sinne und unsere Vorstellung nicht erfassen können. Der Essay endet mit den Worten, dass das Farbspektrum zeigt, dass Dinge, die wir theoretisch wissen, zugleich unbekannt für uns sind. Und damit wird die Brücke zum Prompt 18 geschlagen: Are some things unknowable?
Auf eine andere Weise schlägt eine Schülerin mit einem Musiknotenblatt die Brücke zum Prompt 27: Does all knowledge impose ethical obligations on those who know it? Es ist ein Notenblatt von Bach, das ihr gegeben wurde von der Geigenlehrperson. Sie erklärt, dass sie fast einen halben Monat lang übte und jetzt das Wissen dazu hat, das Stück zu spielen. Jedoch sei es nur Wissen für sich, und sie sieht keine Möglichkeit, wie sie damit die Situation einer anderen Person oder ihrer eigenen verbessern könnte. Damit zeigte ihr dieses Musiknotenblatt, dass es ihr hilft, Wissen anzueignen, das nur für sie selber ist. Sie unterstreicht dieses Argument mit der Anekdote, dass das Spielen eines Stückes an Weihnachten für ihre Familie die Situation weder für sich noch für ihre Familie wirklich verbessern würde und sie somit keine Verantwortung hat, ihr Wissen, wie man das Stück spielt, anzuwenden.
Prompt 27 war jedoch auch auf einem anderen Tisch zu sehen. Im Zusammenhang auf eine Sportuhr, genauer eine Fitbit Watch. Die Schülerin verwendete dabei die Fitbit seit 2024, um ihren Schlafrhythmus zu überwachen und ihre Fitness und generelle Aktivität. Sie schreibt weiter, dass das Wissen, welches die Uhr generiert, sie in die Verantwortung zieht, ihre Gesundheit zu verbessern. Sie nimmt als Beispiel dabei eine Situation, als sie nur sechs Stunden schlief und darauf aktiv reagieren musste, weil es ihre Gesundheit beeinträchtigte. Als Schlusswort fügt die Gymnasiastin an, dass das Objekt ihr zeigte, dass Menschen nicht nur ethische Verantwortung gegenüber anderen haben, sondern auch sich selbst gegenüber. In ihrem Fall will sie weiterhin diese Verantwortung wahrnehmen und, so gut sie kann, ihre Gesundheit verbessern.
Der ToK-Tag mit dem Thema Theme Language and Exhibition endete mit einer Feedbackrunde zu den Texten. Doch über diese Fragen nachzudenken, wird wohl nie enden, da sie unser ganzes Leben prägen und begleiten werden. Regen diese 35 Fragen einem doch an, über die Beziehung zwischen Menschen und Objekten nachzudenken. So werden Alltagsobjekte zu Symbolen für Werte, Ideologien und Konsequenzen. Doch am Schluss sind es nicht die Objekte, die diese Werte verkörpern, sondern die Menschen.
